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Ausstellung

DIETER ROTH
DIETER ROTH
Blick in die Ausstellung
Exponate: ahlers collection
© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth
22. Mai 2005 - 25. September 2005

DIETER ROTH

Bücher


Dieter Roth und das Künstlerbuch

Das Illustrierte Buch entstand in der Regel aus dem Zusammenwirken eines Schriftstellers, eines bildenden Künstlers, eines Papiermachers, Druckers und Buchbinders, vielleicht gar eines Editeurs. Meist ausgehend von einem Autorentext, der sorgfältig gesetzt, mit originaler Druckgrafik illustriert, auf kostbarem Papier gedruckt, in gestalteten Einband eingelegt, in limitierter Auflage publiziert wurde, entstand die traditionelle Form eines zwar kostbaren Buches, das aber ein Mittel zur Weitergabe künstlerischer Äußerungen blieb.

Um 1960 bildet sich fast zeitgleich in Europa und den USA eine neue Form des Buches heraus: das Künstlerbuch – livre d’artiste – artist’s book. Das Künstlerbuch ist in seiner Gesamtheit, in Inhalt, Form und Ausführung, Ergebnis der Ideen eines einzelnen Künstlers. Das Künstlerbuch will aus sich heraus selbst das Kunstwerk sein und nicht bloß Mittel zur Darstellung oder Verbreitung von Kunst. Es ist oft von bescheidener Machart, verwendet übliche Mittel der industriellen Fertigung und erscheint oft im Eigenverlag seines Autors.

Als Begründer des neuen Künstlerbuches in Europa gilt Dieter Roth. Bücher wie „Kinderbuch“ (1957), „Bok 1956–59“ und „Ideogramme“ (1959) sind Inkunabeln dieser neuen Gattung. Sie alle erscheinen, mit bescheidensten Mitteln gestaltet, in kleinen Auflagen im von Roth eigens gegründeten „forlag ed“. Bis Mitte der sechziger Jahre produziert Roth eine große Zahl textfreier Bücher aus geometrischen Formen, Stempeln, Lineaturen, auch aus fremden Materialien wie Zeitungen, Comic-Heften, Vorlaufbogen. Es sind Schaubücher, ein Instrumentarium zu eigentlicher Wahrnehmungsschulung.

1966 erscheint „Scheisse. Neue Gedichte von Dieter Rot“. Erstmals tritt Roth auch als Schriftsteller hervor und setzt zugleich den Anfang eines Buchkomplexes, der ihn jahrelang beschäftigen wird. 1968 folgt „Noch mehr Scheisse. Eine Nachlese". Bis 1975 gibt Roth immer wieder neue Ausgaben heraus, in denen er das Bisherige überarbeitet. Die Gedichte sind nun durch Zeichnungen ergänzt. Bezeichnend ist, dass Roth, der Definition des Künstlerbuches folgend, sämtIiche Spuren seiner textlichen und bildnerischen Veränderungen, aber auch die Anweisungen an Handwerker für die neue Drucklegung, mitpublizieren lässt. Um sicherzustellen, dass seine Vorstellungen exakt umgesetzt werden, wird er Teilhaber der Edition Hansjörg Mayer, die fortan die meisten seiner Bücher verlegt. Der „Scheisse“-Zyklus wird zu Roths lyrischem Hauptwerk. Durch ein ähnliches Vorgehen entstehen auch die fünf Bände von „Tränenmeer“ (1973–78), in denen sich die ursprünglich im Luzerner Stadt-Anzeiger als Inserate erschienenen Sätze allmählich mit Zeichnungen und Gedichten verweben.

In den achtziger Jahren wählt Roth die direkte Wiedergabe von Manuskripten, besonders der Tage- und Notizbücher, als Publikationsform. Diese Bücher erscheinen selten in gedruckter Form. Das Medium ist stattdessen die Fotokopie, was geringe Auflagenhöhen zur Folge hat. Als Fotokopiebücher erscheinen auch Zeichnungsfolgen. Besonders bei den farbigen Zeichnungen wird erneut Roths Absicht deutlich, das Buch selbst zum Kunstwerk werden zu lassen. Er will nicht die möglichst vorlagegetreue Abbildung seiner Zeichnung. Bewusst nutzt er das Medium als Gestaltungsmittel. Durch frei gewählte Farbsteuerungen entstehen Abweichungen von der Vorlage, entstehen neue Bilder, im Buch vereint als neues Kunstwerk.

Begleitend zur Produktion neuer Bücher gibt Roth seit Mitte der siebziger Jahre seine auf vierzig Bände angelegten „Gesammelten Werke“ heraus, eine Gesamtausgabe seines Schaffens als Büchermacher und Schriftsteller. Aber auch hier zeigt sich: Die eigentlichen Reprints sind selten. Oft bringt Roth seine Bücher für die Gesamtausgabe in eine neue Form, oft ergänzt er sie. So werden die Bände, die, gemäß ihrer Funktion in der Werkausgabe, Früheres zeigen sollen, wieder zu neuen Künstlerbüchern.

Das Buch – und damit natürlich auch das Schreiben – blieb für Roth bis zu seinem Tod eine der wichtigsten künstlerischen Ausdrucksformen. Er schuf ein vielfältiges und umfangreiches Werk an Büchern, deren Verbreitung aber zu seiner Enttäuschung auf einen kleinen Kreis von Kunstinteressierten beschränkt blieb. Aus Wut über das mangelnde Interesse zerstörte er Teilauflagen früher Bücher und machte diese Werke so zu heute kaum mehr auffindbaren, kostbaren Raritäten. Erst in jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen, dass Roths Bücher und sein schriftstellerisches Werk künftig doch noch ihrer Bedeutung gemäß gewürdigt werden.


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