Fetische des Blicks

Mode und Verführung

Mode geht heute – auch als Folge des gewachsenen Wohlstands – längst über unsere rein funktionalen Bedürfnisse hinaus und ist tief mit unserem Alltag verwoben. Die Strategien der Verführung in Gestaltung und Vermarktung werden immer raffinierter und statten Kleidung und Accessoires mit einer emotionalen Qualität aus, wodurch sie viel mehr werden als bloße Mittel zum Zweck.

Um die komplexe Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Dingkultur zu erfassen, ist der Begriff „Fetisch“ zu einem Schlüsselbegriff geworden. Ursprünglich wurde er um 1750 im religiös-ethnologischen Kontext entwickelt, um Rituale in afrikanischen Stammeskulturen zu beschreiben. Im 19. Jahrhundert wurde er dann in einen neuen Kontext übertragen und in dem Gespinst von Wünschen und Projektionen verortet, das sich in die Konsumwelt einschrieb, als die Kaufhäuser zu Kathedralen der Waren wurden. Bereits Karl Marx warnte in Das Kapital (1867) vor ihren verführerischen Illusionen.

Heute charakterisiert der Begriff vor allem die Art und Weise, wie sich Menschen von mystisch aufladbaren Gegenständen aus ihrer Lebenswelt faszinieren lassen. Denn es ist die Mystifikation und Emotionalisierung, die den besonderen Reiz und die „Erlebbarkeit“ von Dingen ausmacht. Die ihnen zugeschriebene überhöhende Bedeutung im Sinne von Exklusivität, Schönheit oder Macht hat sich längst zu einem wesentlichen Antrieb der Konsumgesellschaft entwickelt und ist seit den 1960er Jahren auch zum Thema in der bildenden Kunst geworden. Künstler*innen eignen sich die Dingkultur der erfüllungsverheißenden Scheinwelt an und treiben ihren Anbetungscharakter auf die Spitze, sie entschlüsseln die Strategien von Vermarktung und Verführung, erschaffen Sinnbilder oder konfrontieren ihr Publikum mit dem eigenen Überfluss.

Die Ausstellung, konzipiert und kuratiert von Wiebke Hahn, thematisiert die Mystifizierung und kultische Überhöhung als große Spielwiese der Modewelt. Sie hinterfragt das Spannungsverhältnis zwischen der den Dingen zuerkannten Geschichte und ihren Besitzer*innen, erkundet, wie Objekte Bedeutung konstituieren, und macht Mode als ein zentrales Element unserer theatralen Kultur erfahrbar. Die Ausstellung fokussiert sich bis auf wenige Ausnahmen auf Werke aus der ahlers collection. Anhand von Arbeiten von der frühen Moderne bis in die Gegenwart ermöglicht sie eine vielfältige Auseinandersetzung mit lebenspraktischen Fetischen aus den Bereichen der Religion, des Aberglaubens, der Waren- und Geldkultur sowie der Erotik und Sexualität. Werke der Objektkunst, der Fotografie, der Zeichnung und der Malerei geben Denkanstöße im Hinblick auf die Theatralisierung der Warenwelt und unsere Verstrickung darin.

Die Schau findet in Kooperation mit dem Marta Herford statt, das zur gleichen Zeit mit der Ausstellung „Look! Enthüllungen zu Kunst und Fashion“ andere Facetten dieses vielschichtigen Themas beleuchtet. Sie erhalten mit Ihrem tagesaktuellen Ticket zu unserer Ausstellung eine Ermäßigung auf den Eintrittspreis im Marta Herford.

(1. Reihe v.l.n.r.) Clegg & Guttmann, Chanel, 2015, © Courtesy of the artist and KOW, Berlin. Tim Walker, Lily and Spiral Staircase, 2005, ahlers collection, © Tim Walker. Jan Henderikse, $-Shirt, 2017, ahlers collection, © Jan Henderikse. (2. Reihe v.l.n.r.) Deutschland, 19. Jh., Herrenmode um 1850, ahlers collection. Ernst Ludwig Kirchner, Varietétänzerin, 1911, ahlers collection. Mario Testino, Madonna, 1996, ahlers collection, © Mario Testino.

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