François Dufrêne – Raymond Hains
Freundschaft zwischen Kunst und Wort / Une amitié entre l`art et les mots
François Dufrêne (1930-1982) und Raymond Hains (1926-2005) lernten einander 1955 in Paris kennen. Dufrêne hatte zwischen 1946 und 1953, also seit ihrer Gründung, in Berührung mit der lettristischen Bewegung gestanden. Er hatte den "Ultralettrismus" und den "crirythme" ("Schreirhythmus") entwickelt, die auf Spontaneität und direkter Tonbandaufnahme ohne jegliche konkrete Partitur beruhten.
Hains begeisterte sich seit 1944 für die Fotografie und vielerlei optische Experimente, die ihn zur Erfindung des "hypnagoscope" führten, einem System geriffelter Linsen, das es ihm erlaubte, Bilder zu verformen und bald darauf die Sprache aufzusprengen. 1949 realisierten Hains und sein Freund Jacques de la Villeglé ihre ersten Kurzfilm sowie abstrakte Filme. In Paris lösten sie Plakate von den Mauern ab und präsentierten sie im selben Jahr als Bruchstücke einer ihrem Herkunftsort entrissenen Realität.
In ihrem Bestreben, die Sprache neu zu erfinden und sich der ästhetischen Konventionen zu entledigen, entwickelten Hains und Dufrêne in den folgenden Jahren ein Werk, in dem Wörter und Sprechweisen sich von vorgegebenen Formen emanzipierten. Letzterer arbeitete, wie Hains und Villeglé, mit von Wänden abgerissenen Plakaten, die er mit der Rückseite nach vorn ausstellte. 1960 zählten alle drei Künstler zu den Unterzeichnern der Gründungserklärung des Nouveau Réalisme, einer Bewegung, die der französische Kritiker Pierre Restany ins Leben gerufen hatte. Hains und Dufrêne beteiligten sich an allen Veranstaltungen der Gruppe bis zur Retrospektive zum zehnjährigen Bestehen, die im November 1970 in Mailand stattfand.
Die künstlerische Entwicklung von Raymond Hains und François Dufrêne verlaufen parallel zueinander, ohne sich zu gleichen. Beide Künstler sind zwar bekannt als Hauptvertreter der "Affichisten", schufen aber auch Werke, in denen die Sprache und ihr mündlicher Ausdruck von zentraler Bedeutung waren. Beide erfanden die historischen Avantgarden nachvollziehend neu und schöpften dabei doch fundamental aus einer archaischen Dichtungstradition, die sich vom reinen Buch unabhängig macht. Ihre experimentellen Werke leisteten wesentliche Beiträge zur Geschichte des Denkens in der Nachkriegszeit. Offen für sämtliche Disziplinen, strebten sie nach einer allen Denkweisen gegenüber aufgeschlossenen Emanzipation. Hains’ und Dufrênes zutiefst spielerische Werke, die darauf zielen, die Autorität des Diskurses zu dekonstruieren, um diesem eine neue Dimension zu verleihen, äußern auf radikale Weise den Willen zu einer Neubestimmung der Kunst und des Künstlers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Ausstellung in der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte versammelt umfangreiche Konvolute aus dem Schaffen beider Künstler. Sie legt den Schwerpunkt auf die frühen, in den 1950er-Jahren geschaffenen Plakatabrisse, aber auch auf die theoretische Entwicklung ihres jeweiligen Schaffens. Dufrêne, Autor zahlreicher polemischer und poetischer Texte, die er seit 1946 sein Leben lang veröffentlichte, erweiterte seine bildnerischen Erkundungen im Zuge von Arbeiten, die von 1973 bis zu seinem Tod entstanden. Sein auf dem Begriff des "crirythme" beruhendes dichterisches Werk trug souverän zur Emanzipation einer Lautpoesie bei, in der Atmung und Stimme zusammenkommen. Dufrênes zahlreiche Tonaufnahmen sind die sinnfällige Spur seines ebenso ikonoklastischen wie unorthodoxen Denkens, das in direktem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und kulturellen Zeitgeschichte stand. Hains, der ein echter Mythologe war, spaltete Form und Sprache unablässig in eine Folge endloser Assoziationen auf, in denen Bilder und Diskurse sich zur Parallelschilderung einer Geschichte verwoben, deren faszinierter Zeuge und unverdrossener Erzähler er war.