Lyonel Feininger
Schiffe und Meer
Die Präsentation des künstlerischen Werkes von Lyonel Feininger hat in dem Gebäude der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte in der Warmbüchenstraße eine lange Tradition. Hier fanden nach den Jahren der Verfemung und des Zweiten Weltkriegs 1951, mit 40 Aquarellen, und 1954, mit 89 Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen die beiden ersten größeren Feininger-Ausstellungen statt. Und bereits 1919, drei Jahre nach ihrer Gründung, veranstaltete die Kestner-Gesellschaft in Hannover eine Ausstellung, in der Arbeiten von Feininger und Paul Klee gezeigt wurden. 1926 war Feininger in einer Ausstellung zum Bauhaus Dessau vertreten, 1932 folgte eine umfassende Einzelausstellung.
Das Werk von Lyonel Feininger, der 1871 in New York geboren wurde und zeitlebens amerikanischer Staatsbürger war, wird meist aus zwei unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen. Zum einen gilt er als der Maler der kristallinen Architektur thüringischer Dörfer und Kirchen, zum anderen als Schöpfer lichtdurchfluteter, transparent übereinander geschichteter Farbflächen, die atmosphärisch aufgeladene Stimmungen in all ihren Variationen wiedergeben.
Die Ausstellung in der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte konzentriert sich auf einen anderen Aspekt, nämlich auf Schiffe und das Meer als die über das gesamte Schaffen hinweg wichtigste Themen- und Bildwelt des Künstlers. Sie zeigt Feiningers Leidenschaft für die vielfältigen landschaftlichen Motive und meteorologischen Phänomene an der See, stellt ihn vor als versierten Kenner verschiedenster Schiffstypen, als interessierten Chronisten des Lebens an Strand und Küste. Die Ausstellung dokumentiert Feiningers prägende Begegnung mit der Ostsee zu einer Zeit, in der er sich gerade von den skurrilen Figurenbildern seines Frühwerkes zu lösen begann. Mit dem Aufenthalt an der Lübecker Bucht 1921, die er gemeinsam mit Wassily Kandinsky und dem Begründer des Bauhauses, Walter Gropius, besuchte, begann Feiningers künstlerisches Interesse an der weiten, sich ständig in ihrer Stimmung verändernden Ostsee.
Seit dem ersten Besuch des pommerschen Dorfes Deep, das direkt an der Mündung der Rega in die Ostsee lag, wurden das Meer und die darauf fahrenden Boote, Segelschiffe und Dampfer zum zentralen Thema seines Schaffens. Feiningers mehrmonatige Sommerreisen, die für ihn Arbeitsurlaube fernab vom Dessauer Bauhaus, an dem er seit 1919 lehrte und arbeitete, waren, setzten sich bis 1935 jährlich fort - im letzten Jahr allerdings aus Vorsicht ohne seine Gattin Julia, die als Jüdin Anfeindungen ausgesetzt war. Im Sommer 1936 erhielt er einen Lehrauftrag in Kalifornien. Nach einer gemeinsamen Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika, dem ersten Besuch Feiningers in seiner Heimat seit der Ankunft in Europa 1887, beschloss das Paar, im folgenden Jahr Deutschland zu verlassen und nach New York überzusiedeln. Für Feininger war dieser Schritt einerseits, verglichen mit anderen deutschen Emigranten, einfach, weil er Sprache und Kultur in den USA kannte. Andererseits musste er seine Motive, somit sein gesamtes künstlerisches Fundament, in Deutschland zurücklassen. Bis zu seinem Tod waren es die Dünen am Strand von Deep und die Segelschiffe auf der Ostsee, die aus der Erinnerung heraus das Spätwerk des Malers bestimmten.
Die Ausstellung beleuchtet mit rund 50 Arbeiten aus den Jahren 1910 bis 1955 alle Facetten der Beschäftigung Feiningers mit Schiffen und Meer. Gezeigt werden Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Holzschnitte, die teils aus Museen, teils aus vorwiegend norddeutschen Privatsammlungen stammen und oft seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich zu sehen waren. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Die Ausstellung wird von Ulrich Luckhardt kuratiert, der sich auf Lyonel Feininger spezialisiert hat und international als einer der besten Kenner seines Werkes gilt.