Philippe Pasqua

Nahe am Anderen

Philippe Pasqua agiert spontan und direkt vor seinen großen Bildfeldern. Das fortwährende Thema sind das menschliche Gesicht, der menschliche Körper; Körper und Gesicht interessieren ihn gleichermaßen wegen ihrer Aussagekraft über die Person, die ihr Träger ist. Das Werk von Pasqua erscheint spontan und direkt, ist aber gekonnt und kalkuliert ins Format gesetzt: Seine großformatigen Porträts besetzen fast die gesamte Bildfläche allein mit dem menschlichen Gesicht, und seine Figuren, die posieren und sich präsentieren, sind ebenfalls Format füllend und das Format gelegentlich sprengend angelegt. Pasquas Blick ist einer, der an den Erfahrungen der modernen Fotografie und des Kinos geschult ist; spontan und schnell in der Bewegung des Malens erfasst sitzen die Dargestellten im Format.

Über die Jahre der Arbeit finden sich immer wiederkehrende Figuren in diesen Bildern. Arnaud etwa, der seine Behinderung stolz im Porträt zur Schau trägt; Constance, die als Aktmodell ohne Scheu posiert, in all den Positionen, die das klassische Aktporträt zulässt ebenso wie in jenen Posen, die erotischen Magazinen entnommen sind. Aber Constance tritt uns auch als ernstes, großes, versachlichtes Gesicht gegenüber, von ungeheurer Nähe und kritischer Distanz im Blick oder diesen gar vermeidend. Anne wird uns immer wieder konfrontiert, etwa in der unerhört intimen Position der Sitzenden mit geöffneten Beinen, einer, die sich zunächst dem Künstler, dann uns als den Voyeuren darbietet. Laura schließlich, auch sie im Blickkontakt mit uns, präsentiert in den Proportionalitäten eines gigantischen Passfotos.

Auch die Befragung des eigenen Bildnisses in den wiederholten Selbstporträts ist bei Pasqua unübersehbar. Solche Annäherungen an das Bildnis sind zu erklären aus dem unmittelbaren Schauen des Künstlers, aus seinem Interesse am Gegenüber, seiner Lust an der Konfrontation und der Gegenüberstellung mit dem gesehenen und formulierten Bild des Anderen. Das schließt auch das eigene Bildnis mit ein: Denn was der Künstler sieht, im Spiegel, im Foto, in vorbereitenden Zeichnungen, das findet sich transportiert im großen Porträt, anders gesehen und sich selbst fremd, wieder.

Die heutigen Bilderwelten, die in Massen auf uns hereinstürzen, sind brutal, pornografisch, von indezentester Nähe, von suchender Bösartigkeit. Was die Paparazzi uns als Ergebnis ihrer unentwegten Beobachtungsarbeit präsentieren, sind delikate Momente, verrutschte Dekolletees, verschwitzte Kostümjacken, dem Privaten entrissene Küsse, Nacktheit, Intimitäten aller Art. Und doch eignet all diesen Bilderwelten nicht jene angreifende Nähe, die Pasqua in seinen Bildern angeht. Die nackte Offenheit etwa des menschlichen Antlitzes, die schutzlose Konfrontation mit dem Anderen, der durch nichts als sein Gesicht uns gegenüber gestellt ist. Enthistorisiert, ja aus der Zeit getreten, schauen uns diese Gesichter an, entkleidet jeder Erklärung, jeglichen Attributes. Das Entstehen des Porträts aus dem Arbeitsprozess ist im Bild noch sichtbar, die Strichlagen und Verläufe fügen sich ineinander in das große Gebirge, das vor uns aufragt und sich zum Gesicht formt. Die geschlossenen Augen mancher Figuren zeugen von der Intimität, die die Porträtierten empfinden und zu vermeiden versuchen, sind auch Rückzug vor dem fordernden Blick des Malers wie des Betrachters, die ja als Voyeure daherkommen. Anders der Blick des Malers auf sich selbst, in dem Pasqua die Augen immer geöffnet hält, um sich selber im Spiegel zu sehen.

Und schließlich die Akte. Sie fordern in ihrer rüden Offenheit Verzicht von uns. Wir werden uns nicht mehr unserer Scham bewusst, wenn wir vor ihnen stehen. Hier steht die Schönheit des menschlichen Körpers im Vordergrund, und die Frechheit und Offenheit des künstlerischen Blicks, wie sie schon Courbet in seiner "Origine du Monde" erobert hat, dem Bild eines weiblichen Unterkörpers mit geöffneten Beinen als Sinnbild des Ursprungs menschlichen Lebens. Begehren und Sinnlichkeit, Schönheit und Verweigerung sind die Aspekte, die sich etwa in den Akten der Anne im Werk von Philippe Pasqua offenbaren. In diesen Arbeiten von heute knüpft er an die Darstellungen von Transvestiten und Homosexuellen, wie er sie in seiner Arbeit in den vergangenen Jahren realisiert hat, randständigen Figuren, die er mit neugierigem Blick anschaute. Nichts hier ist pornografisch gemeint in den Ansichten des weiblichen oder männlichen Körpers, aber alles ist nah, selber gesehen, selber kolportiert: Ein Rekurs auf die Wirklichkeit, auf das Gesehene. So nah ist selten ein Künstler wirklich am Porträtierten in der heutigen Zeit, wenn er denn das Porträt, das Bild des Anderen überhaupt noch für eine relevante darstellbare Größe hält.

An die Intensität und Besessenheit des Porträtwerkes von Francis Bacon erinnert Pasquas Insistenz in der Beschreibung von immer wieder gleichen menschlichen Gesichtslandschaften, aber anders als der große englische Meister ist der junge Franzose orientiert an der Ganzheit der Figur, am Bild einer Jugend und Schönheit, wie sie ihm aufgrund gleichen Alters ganz nahe zu sein scheint. Pasquas Nahsicht der Porträtierten zeigt sich auch, fast ironisch gebrochen, im Porträt des liegenden John, seines Hundes, der uns in seiner ungeheuren Entspannung und liegenden Spielform vorgeführt wird. Da wird für einen Moment Ironie sichtbar, wenn die höchste Form der malerischen Würdigung, im großformatigen Porträt, einem Haustier zuteil wird, aber Pasqua scheint an mehr interessiert als nur an der Nobilitierung seines Tagesbegleiters; er analysiert eine Form der Präsentation, die der menschlichen Nacktheit sehr nahe kommt. Das liegende Tier, das zum Spiel einlädt und seine schutzlose Unterseite präsentiert, ist der Leiblichkeit eines nackten menschlichen Körpers, der sich frontal präsentiert, sehr nahe. So lässt uns gerade an einem solchen Beispiel Pasqua einblicken in die privaten Anlässe, die es für seine Porträts auch immer wieder gibt. Gefühle, Wertschätzungen, Nähe zur dargestellten Figur.

Pierre Restany hat in einem Text über Philippe Pasqua davon gesprochen, dass dieser in seinen Bildern einen grundsätzlichen "Humanismus" verfolgt, eine "Art und Weise, sich frei zu fühlen". Der betrachtende Künstler ist nicht allein Voyeur, nicht nur interessiert Sehender, sondern einer, der den anderen sieht, den Menschen, der ihm gegenübersteht, und ihm eine große, spontane und überraschende Form setzt. Alle seine Figuren, selbst die Rückenfiguren, sind uns zugewandt gedacht; in der Regel forcieren die Porträtköpfe den Blick aus dem Bild heraus und haben uns voll im Blick, verweigern den Blick nur selten durch das Senken der Augen.

Zeichnerisch und malerisch ist Pasqua eine überraschende Position, eine, die sich – vielleicht auch, weil der Künstler autodidaktisch gebildet ist – wenig um Traditionen und Konnotationen mit zeitgenössischer Kunstpraxis kümmert. Unbekümmert, selbst erschaffen, von hohem malerischen Vermögen getragen formuliert er seinen Blick auf die Welt. "Die Botschaft von Philippe Pasqua ist eine Lehrstunde über die Freiheit in der Malerei." (Pierre Restany, 2001)

Philippe Pasqua

Constance, 2009
Öl auf Leinwand
Sammlung Gualtiero Vanelli, Italien
© Phillipe Pasqua

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