Emmett Williams
Ein Berliner Amerikaner
Emmett Williams, geboren 1925 im nordamerikanischen Greenville, South Carolina, gestorben 2007 in Berlin, war einer der bedeutenden Künstler der Fluxus-Bewegung, zu der u. a. Joseph Beuys, George Brecht, John Cage und Nam June Paik gehörten. Diese Kunstrichtung begründete in den sechziger Jahren der aus Litauen stammende New Yorker George Maciunas. Fluxus wollte im Sinne seines lateinischen Namens die Dinge verflüssigen oder – in den schönen Worten von Karl Marx – den erstarrten Verhältnissen ihre ureigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen. Fluxus demokratisierte die Kunst und brachte sie aus dem 'white cube' in den sozialen, politischen und ökonomischen Raum. Fluxus versuchte, die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufzuheben, vereinte Aktion und Dichtung, Malerei und Musik zum Gesamtkunstwerk.
In diesem Sinne hat Emmett Williams als Künstler sein Leben lang multimedial gewirkt. 1962 nahm er an Maciunas’ Gründungs-Happening von Fluxus in Wiesbaden teil. Mit dem Schweizer Daniel Spoerri arbeitete er von 1957–59 im Darmstädter Kreis für konkrete Poesie zusammen. Seine Künstlerfreundschaften und -kooperationen sind vielfältig. 1966 bis 1970 war er Chefredakteur der legendären „Something Else Press” in New York. Seine Gedichte und Anthologien sind Meilensteine der konkreten Poesie. Zu seinen wichtigsten Werken gehören der erotische Gedichtband „sweethearts” (1966), dessen Titelseite Marcel Duchamp gestaltete, und das 1992 veröffentlichte autobiografische Werk „My Life in Flux – and Vice Versa”.
Zu Berlin entwickelte Williams eine ganz besondere Beziehung. Nachdem er die Stadt 1980 als Artist-in-residence des Berliner Künstlerprogramms (DAAD) kennengelernt hatte, machte er sie zu seiner Wahlheimat. Von 1981 bis 1985 lehrte er als Gastprofessor an der Berliner Hochschule der Künste. 1993 hatte er hier, im Haus am Lützowplatz, zusammen mit Dorothy Iannone und William N. Copley eine wichtige Ausstellung seiner Werke unter dem Titel „Berliner Amerikaner”. Im Jahr 1996 wurde er für sein Lebenswerk mit dem Hannah-Höch-Preis der Berlinischen Galerie ausgezeichnet. Zusammen mit seiner Frau, der britischen Künstlerin Ann Noël, lebte er bis zu seinem Tod im Jahre 2007 in Berlin.
Die Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte zeigt in ihren hannoverschen Ausstellungsräumen unter dem Titel „Ein Berliner Amerikaner” Werke von Emmett Williams aus ihrer Sammlung, ergänzt durch einige Leihgaben. Aus der Sammlung stammen die „Pointierten Punktogramme” (1978/2003), Überarbeitungen nicht genutzter Illustrationen zu Williams Buch „The Boy and the Bird”, das in den siebziger Jahren in Harvard entstand. Mit Hilfe kleiner Signalpunkte gibt der Künstler jedem Bild ein anderes Gesicht, und in den Titeln kleidet er seine ironischen Selbstanalysen in glänzenden Wortwitz. Die „Recycled Lichtskulpturen” (1984/85/2003) dienten ursprünglich als Illustrationen für Williams Buch „Deutsche Gedichte”. Aufgeschlitzte Papierblätter wurden von ihm fotokopiert und mit Sprühfarbe in Kunstwerke verwandelt. In der Grafikmappe „21 Proposals for the Stained-glass Windows of the Fluxus Cathedral” (1991) begegnen wir guten, alten Bekannten: Charakteren aus der Population der farbenfrohen, verspielten, comicartigen „People”, in denen sich in unnachahmlicher Weise das humorvolle, ideenreiche und originelle Wesen ihres Schöpfers zeigt.
Unter den Leihgaben sind Werke, welche in schöner Weise Zeugnis ablegen von Williams Freundschaft zu Dieter Roth. Die collagierte Farbkopie „Eine Tafel Schokolade, davon träumend, Dieter Roth zu sein” ist eine Hommage an den Künstlerfreund, der wie kein anderer den ephemeren Stoff der Schokolade zum Material plastischer Gestaltung machte. In diesem Sinne ist auch der Zyklus der „Foodfaces” (1989) zu verstehen, in dem er immer wieder sein aus Lebensmitteln zusammengesetztes Konterfei porträtiert.
Wenn Emmett Williams die Bilder mit ironischen Kommentaren zur prekären Lebenssituation des Künstlers versieht, verkündet er Wahrheiten, die über den Tag hinausreichen. Aber er tut es weder wehleidig noch vorwurfsvoll. Sondern er genießt die Haltung des homo ludens, des spielerischen Menschen, mit der er seine Aufgaben als Künstler meisterte und mit der er auch den Zwängen des Alltags begegnete.