Yves Klein
Der Sprung ins Leere
Yves Klein (1928–1962) erglüht wie ein Meteor am Kunsthimmel des 20. Jahrhunderts. Kurz und heftig. Aber nach seinem frühen Tod ist dort nichts mehr so, wie es einmal war. Er gehört zu den wahrhaft großen Anregern in der Kunst der Moderne. Bereits 1947, im Alter von nur 19 Jahren, signiert er den Himmel über Nizza, seiner Geburtsstadt. Die symbolische Geste ist ein Appropriationsakt, der alles hinter sich lässt, was es an Aneignungen in der Kunst seit Duchamp gegeben hat. Mit der Signatur des Himmels lädt Klein uns ein zu einer Ideenreise und wird zum wichtigsten Wegbereiter der Konzeptkünstler der sechziger und siebziger Jahre. Zugleich verschiebt er auch die Grenzen seines Ateliers, das für ihn identisch wird mit der Welt. Er lässt die Natur – Regen, Sonne und Schnee – mitformulieren an der Physiognomie seiner Bilder. Er verkauft Gutscheine, die ihrem Käufer zusichern, teilzuhaben an "Zonen immaterieller malerischer Sensibilität" - ein Akt, der in frappierender Manier ein genialisches Selbstbild, Traditionen einer alchemistischen Kunstvorstellung und Transaktionen des modernen Geschäftslebens miteinander verbindet.
Am 27. November 1960 unternimmt Yves Klein seinen berühmten "Sprung in die Leere". Als gallischer Ikarus umarmt er den Kosmos und führt die Vermählung von Kunst und Leben in ebenso emblematischer wie einzigartiger Weise vor Augen. Da er die Aktion durch die nur für diesen Tag von ihm herausgegebene Zeitung "Dimanche" dokumentieren lässt, wird er auch zur Gründerfigur späterer Mail- und Press-Art-Initiativen. Kleins legendärer Sprung ist das wohl spektakulärste Beispiel einer Reihe ähnlicher, ebenso extravaganter wie geistreicher Aktionen. Er 'malt' Bilder mit Flammenwerfern, verwendet Modelle als lebende Malpinsel, dirigiert dabei einmal sogar ein Orchester, das eine von ihm komponierte Partitur spielt. Klein wird hiermit zum vielfältigen Anreger: für die spätere Body Art, die Ära der Happenings und Performances sowie das heutige gattungsübergreifende Crossover in der Kunst. Vor allem aber hat er sich in das kollektive Kunstgedächtnis der Moderne mit seinen monochromen Werken eingeschrieben, unter denen die in "Yves Klein-Blau" (IKB), das er sich patentieren ließ, hervorragen. Ihr Status zwischen Bild und Plastik antizipiert bereits den Charakter der "specific objects" amerikanischer Minimal-Künstler.
In der Ausstellung "Yves Klein – Der Sprung ins Leere: Pretiosen des Nouveau Réalisme“, welche die Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte in den Räumen der alten Kestner-Gesellschaft in der hannoverschen Warmbüchenstraße zeigt, nimmt ein solches blaues Monochrom einen privilegierten Platz ein. Im Hauptsaal der Ausstellung wurde ein Raum im Raum eingerichtet, ein artistisches Sanktuarium, das allein den Werken Kleins vorbehalten ist. An dessen Eingang hängt das „IKB 191“, das eine eigene Geschichte hat. Yves Klein hatte das Bild im Jahre seines Todes seinem Mitstreiter und unermüdlichem Dolmetscher seiner Kunst, dem großen Kritiker und Publizisten Pierre Restany, verehrt. Auf der Rückseite der Leinwand ist zu lesen "À Pierre Restany, au coeur de la proposition monochrome", unterzeichnet "Yves le Monochrome, 1962". Der monochrome Yves, so nannte sich Klein mit frühem Gespür für die Strahlkraft des Labels, der corporate identity - auch das ein in die Zukunft weisendes Element seines Wirkens. Der Begriff der "proposition monochrome" stammt aus einem frühen Text Restanys über Klein. Mit ihm vermied er den Begriff des Bildes, um so den reflexiven Gehalt der Werke ins Betrachtungszentrum zu rücken.
Klein, der als Judomeister wie ein Künstler kämpfte, kämpfte in der Kunst wie ein Champion. Restany war ihm dabei als theoretischer Kopf stets ein treuer Gefährte. Von ihm stammt auch der Begriff der "Nouveaux Réalistes", unter dem sich Klein und seine Freunde zur Künstlergruppe sammelten. Die meisten der in der Ausstellung präsentierten Künstler gehören zu ihren Gründungsmitgliedern, allen voran Arman, ein enger Freund aus Nizza, der die legendäre Ausstellung Kleins "Le Vide" (1958) bei Iris Clert mit der Schau "Le Plein" (1960) konterte. Wo Klein die Pariser Galerie restlos ausgeräumt und in ein immaterielles, meditatives Weiß getaucht hatte, räumte Arman sie bis unter die Decke voll mit dem bric-à-brac unseres Alltags und verwandelte sie so in ein beängstigendes, konsumistisches Menetekel. Mit ähnlichen Materialien schuf er auch ein – ebenfalls in der Warmbüchenstraße zu besichtigendes – Porträt des Düsseldorfer Galeristen Alfred Schmela, der Yves Klein die erste Ausstellung in Deutschland widmete. Daneben erwarten den Besucher der Schau wichtige Werke der Affichisten Dufrêne, Villeglé, Hains und Rotella sowie Arbeiten von César, Spoerri, Deschamps und Raysse.