Gesicht und Maske
Rollenspiele in der Porträtkunst
Ist Dieter Roths Selbstbildnis als Loch in gleicher Weise als Porträt zu erachten wie Rembrandts Selbstbildnis mit Barett?
Wo der eine sein Antlitz detailgenau beschreibt, bringt sich der andere in Form eines weißen „Lochs“ zum Verschwinden. Ohne das Gesicht desjenigen, der hier ein Bild von sich selbst geben möchte, kann die Identität nicht festgestellt, geschweige denn über Ähnlichkeit oder künstlerische Treffsicherheit diskutiert werden. Der Bildtitel lässt jedoch keinen Zweifel zu, denn mit seiner selbstironischen Behauptung, ein „Loch“ zu sein, macht Roth deutlich, dass allein die Absicht des Künstlers darüber entscheidet, ob das „Loch“ ein Selbstporträt ist oder nicht.
Die Ausstellung schlägt eine Brücke zwischen traditionellen Porträts und abstrakten Bildnissen. Der Wandel des geläufigen Ähnlichkeitsbegriffs spinnt sich als roter Faden entlang höchst unterschiedlicher Werkbeispiele, mit denen der Betrachter die erprobten Möglichkeiten der Identitätsbeschreibung erkunden und die Grenzen der Gattung ausloten kann: Physiognomische Verzerrungen und Dekonstruktionen, Porträts ohne Antlitz sowie Maskenund Rollenspiele sind Facetten einer modernen Bildniskunst, bei der Porträtähnlichkeit nur eine unter verschiedenen Optionen ist.
Die von Michael Kuhlemann kuratierte Ausstellung zur Porträtkunst des 20. Jahrhunderts, beginnend - gewissermaßen als Prolog - mit einer Reihe von Selbstdarstellungen Rembrandts, konfrontiert Werke der westlich-europäischen Avantgarde mit solchen aus anderen Kulturkreisen, insbesondere aus China. Gezeigt werden Arbeiten u.a. von Max Beckmann, Alexej von Jawlensky, Lovis Corinth, Man Ray, Alberto Giacometti, Francis Bacon, Horst Janssen, Dieter Roth,Timm Ulrichs, Arnulf Rainer, Joseph Beuys, Andy Warhol, Katsura Funakoshi, Yue Minjun, Guo Jin, Qi Zhilong, Xue Song, Qiu Zhijie, Zeng Fanzhi und Zhang Xiaogang.
Der intime Ausstellungsort eines ehemaligen Wohnhauses bietet den passenden Rahmen gerade für dieses Genre der bildenden Kunst und erlaubt es, Werke von musealem Rang in privater Atmosphäre zu erleben. Die Hängung der rund 80 Exponate, die sämtlich aus den Beständen der ahlers collection stammen, folgt dem Beispiel, das für private und öffentliche Sammlungen von Künstlerbildnissen geläufig ist: in mehreren Reihen übereinander, in dicht gedrängter Eintracht und nur durch die Vorgaben der räumlichen Architektur gegliedert.